Dem Zürcher Fussball fehlt die Lobby
Das Projekt für das neue Hardturmstadion wankt. Das wirft ein Schlaglicht auf die schwindende Bedeutung der Zürcher Sportlobby.
Irène Troxler, 22.6.2018, 07:57 Uhr
Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Das sagt der Volksmund, aber in Zürich ist es komplizierter. An der Limmat kultiviert man stets den höchsten Anspruch, egal, ob es um ein Kongresszentrum oder ein Fussballstadion geht, das keine Steuergelder beansprucht. Die Wohntürme, welche die geplante Sportarena beim Hardturm querfinanzieren sollen, stören die Aussicht mancher Höngger. Die SP wiederum befürchtet, die Investoren könnten am Ende Geld verdienen mit dem Projekt, was ihr zuwider wäre. So weibelt sie nun für eine Alternative ohne Investoren. Vorerst aber möchten die Sozialdemokraten in einer erstaunlich späten Projektphase auf den Reset-Knopf drücken. Das ist besonders riskant, weil das Land, auf das die neue Arena zu stehen kommen soll, nur befristet zur Verfügung steht. Baut die Stadt bis 2035 kein Stadion, hat die Credit Suisse ein Rückkaufsrecht.
Andere Lobbys sind stärker
Schon wieder wankt in Zürich also ein Stadionprojekt. Jetzt müsste sich die Sportlobby in die Bresche werfen für den Hardturm, würde man denken. Doch davon ist in der Öffentlichkeit wenig zu spüren. Hingegen sind die Zeitungsspalten voll von Artikeln über die Wünsche der Grünflächenlobby, welche die Hardturm-Brache erhalten möchte. Auch die Genossenschaftslobby, die den Bau von kommerziellen Mietwohnungen kritisiert, findet mehr Gehör als der Fussball, und das Gleiche gilt für die Anwohnerlobby, die sich vom Projekt gestört fühlt.
Theoretisch gibt es in Zürich durchaus eine Sportlobby: die Gemeinderätliche Gruppe Sport. Diese agiert auch erfolgreich, solange es um Rasenplätze, Turnhallen oder Garderobengebäude geht. Zum Stadionprojekt aber schweigt sie.
Spitzensport hat es schwer
Das war früher anders. Initiiert wurde die Gruppe 1998 vom Zürcher Stadtverband für Sport, in dem die meisten Zürcher Sportvereine organisiert sind. Spiritus Rector war der CVP-Gemeinderat Hans Diem, ein Sportlobbyist erster Güte. In den nuller Jahren war die Sportlobby sehr erfolgreich: Sie verhalf dem Letzigrundstadion in Rekordzeit zum Durchbruch und ebnete der Sanierung des Hallenstadions den Weg. Aber in den letzten Jahren ist Zürich ein hartes Pflaster geworden für den Sport. Mehrere Grossanlässe haben der Stadt den Rücken gekehrt: das Springturnier CSI, der Trendsport-Event Freestyle.ch, das Sechstagerennen. Die Verwaltung mache zu viele Auflagen und habe zu wenig Gehör für die Bedürfnisse des Spitzensports, klagen die Organisatoren. Auch gegen die Formel E formiert sich Widerstand. Und das weitgehend privat finanzierte Eishockeystadion hatte es 2016 ziemlich schwer im Gemeinderat. Viele Linke störten sich an den Sponsoren aus SVP-Kreisen und nahmen sich in der vorberatenden Kommission ausgiebig Zeit, um die Sparschraube enger als üblich anzuziehen. Immerhin: Dank dem unermüdlichen Einsatz von ZSC-CEO Peter Zahner schaffte die Hockey-Arena schliesslich die Hürde der Volksabstimmung.
SP setzt aufs Thema Wohnen
Daniel Meier ist heute der wohl wichtigste Sportlobbyist der Stadt Zürich. «Es ist schwierig geworden, hier etwas für den Spitzensport zu machen», sagt er. Meier präsidiert den Verein Pro Sport Zürich, zu dem sich die grossen Verbände zusammengeschlossen haben. Er wundert sich: «Die Linken hatten die Mehrheit in der Jury zum Fussballstadion-Wettbewerb.» Der Entscheid für das Projekt «Ensemble» mit den Hochhäusern sei einstimmig gefallen. Dass die SP jetzt eine Kehrtwende vollzieht, findet er unverständlich. Wie Diem ist Meier ehemaliger CVP-Gemeinderat. Doch die CVP ist in den Wahlen vom letzten März an der 5-Prozent-Hürde gescheitert. Aus diesem Grund musste auch Christian Traber seinen Sitz im Gemeinderat räumen, der Präsident der Gemeinderätlichen Gruppe Sport.
Seine Nachfolgerin ist Anjushka Früh (sp.). Zur Stadionfrage hält sie sich bedeckt. Der sportliche Teil der Vorlage werde in der SP-Fraktion intensiv diskutiert, sagt sie nur. «Er ist ein wichtiger Teil, aber nicht der einzige.» Deutlicher wird SP-Gemeinderat Florian Utz, von dem die Initiative zum Reset ausging. Er sei zwar für ein Fussballstadion. Das heisse aber nicht, dass die SP jedes Projekt unterstütze. Das heutige Hardturmprojekt sei ebenso sehr eine Wohnbauvorlage wie ein Sportprojekt. Und wer die politischen Debatten verfolgt, der weiss: Für die SP hat das Thema Wohnen Priorität gegenüber dem Sport. Auch Utz ist übrigens Mitglied der Gemeinderätlichen Gruppe Sport. Im dreizehnköpfigen Gremium sitzen drei SPler, je zwei Vertreter von FDP, SVP, GLP und Grünen sowie je ein Mitglied der AL und der EVP.
Erfolgsverwöhntes Publikum
Alt-Stadtrat Martin Vollenwyder (fdp.) hält eine andere Erklärung bereit für die Reserviertheit vieler Zürcher gegenüber dem Stadionprojekt. Als Präsident der Tonhalle und der Trägerstiftung des Kinderspitals ist er selber oft auf Werbetour. Er spricht von einer Kaskade der Sympathien: Am leichtesten fliessen seiner Erfahrung nach die Spendengelder für Tiere. Als Nächstes flögen die Sympathien den Kindern und der Kultur zu. Der Fussball hingegen habe zurzeit ein Handicap: den ausbleibenden Erfolg. «Die Zürcher sind erfolgsgewohnt und nicht sehr treu», sagt Vollenwyder. Auch in der Oper oder im Theater wollten sie nichts Mediokres sehen. Und natürlich helfe auch die Hooligan-Thematik dem Fussball nicht. Zudem staunt Vollenwyder über die operativen Fehler der Klubs. Beispielsweise dass der FCZ nach dem Cup-Sieg bekanntgibt, er wolle Gelder beim Frauenfussball kürzen. «Man hätte die Frauen besser umgarnt, damit sie fürs Stadion Werbung machen», meint der frühere Finanzvorstand. Sobald die Klubs wieder besser spielten, kämen auch die Zuschauer zurück, ist er überzeugt.
Der Rückweisungsantrag der SP dürfte im Gemeinderat scheitern, da Grüne und AL über das Projekt abstimmen lassen wollen. Aber man muss damit rechnen, dass diese beiden Parteien die Nein-Parole zur Urnenvorlage beschliessen. Daher wird die Haltung der SP entscheidend sein. Auf die wenigen übrig gebliebenen Sportlobbyisten in der Zürcher Politik wartet viel Überzeugungsarbeit.
Fussballtrainer als Steuerberater
Manche Politiker unterscheiden zwischen Breiten- und Spitzensport. Sie wollen lieber Hallenbäder, Turnhallen und Fussballplätze bauen als ein Stadion. Aber die Unterscheidung lässt sich bei genauer Betrachtung nicht aufrechterhalten, wie Heinz Haas vom Zürcher Stadtverband für Sport betont. «Welcher Knirps würde sich so begeistert auf den Ball stürzen, wenn er keine Vorbilder hätte?», gibt er zu bedenken. Natürlich spielten Ronaldo und Messi eine grosse Rolle, aber auch die reale Chance, später einmal in die Juniorenmannschaft der Grasshoppers oder des FCZ aufgenommen zu werden, wirke in vielen Quartierklubs motivierend. Kaum zu überschätzen sei der Wert des Fussballs als Integrationsmaschine für fremdsprachige Kinder, sagt Haas. Wo, wenn nicht im Fussballklub, entstehen Freundschaften quer durch alle Nationalitäten? Haas stellt fest: «Für viele ausländische Familien ist der Fussballtrainer eine Vertrauensperson, die in allen Lebenslagen Rat weiss.» So kennt er einen Trainer, der gefragt wurde, ob er beim Ausfüllen der Steuererklärung behilflich sein könnte. Gegenwärtig sind in der Stadt Zürich über 16 000 Jugendliche in einem Sportverein aktiv. Ein Drittel spielt Fussball. Im Gegensatz zu Eishockey oder Ballett ist der Anteil Fremdsprachiger hier besonders hoch. Dass die Zahl der fussballspielenden Kinder in der Stadt Zürich in den letzten 20 Jahren um 65 Prozent zugenommen hat, erklärt sich wohl damit, dass die Sportart bei den in Zürich gut vertretenen Migrantengruppen besonders beliebt ist. Fussball ist übrigens auch bei Mädchen mittlerweile die Sportart Nummer zwei. Einzig in den Turnverein zieht es die Mädchen noch öfter.
https://www.nzz.ch/zuerich/dem-zuercher ... ld.1396821
Izidor Kürschner (1885-1941), ungarisch-jüdischer Fussballlehrer, GCZ-Meister- (1927, 1928 & 1931) und Cupmacher (1926, 1927, 1932 & 1934).