Der neue GC-Trainer muss die Nerven bewahren und Sehnsüchte stillen
GC ist zum Ausbildungsverein geworden und will trotzdem zurück an die nationale Spitze – mit dem neuen Mann an der Seitenlinie, dem bislang besten Transfer des Clubs.
Thomas Schifferle
Thomas Schifferle
Publiziert: 22.07.2021, 20:32
Der letzte Cheftrainer war so unbekannt, dass GC seinen Namen zuerst falsch schrieb. João Carlos Pereira selbst redete von «Tschetse». Er war ein Missverständnis und nach neun Monaten wieder Geschichte. GC kehrte ohne ihn in die Super League zurück.
Der neue Trainer besitzt eine andere Basis. Bei Giorgio Contini beginnt es schon einmal damit, dass er die passenden Initialen hat. Er ist auch durch und durch vertraut mit dem Schweizer Fussball, einst als Spieler, seit 14 Jahren als Trainer.
Dass GC ihn verpflichtete und keinen Trainer mit Bezug zu den Wolverhampton Wanderers oder zum portugiesischen Spielervermittler Jorge Mendes, war durchaus eine Überraschung. Aber es ist ein guter Zug. Contini ist bislang der beste Transfer, den die Verantwortlichen vom Campus diesen Sommer gemacht haben.
47 ist Contini inzwischen. Der Rucksack ist gut gefüllt: dank seiner Zeit beim Nachwuchs in St. Gallen und als Co-Trainer in Luzern, dank der viereinhalb Jahre in Vaduz, den zwölf Monaten in St. Gallen und nicht zuletzt dank der drei Saisons in Lausanne. Als er die Chefs von GC erstmals traf, Präsident Sky Sun, CEO Jimmy Berisha und Sportchef Seyi Olofinjana, sagte er ihnen: «Wie ihr mich erlebt, so bin ich. Ich verstelle mich nicht.»
Er erzählte, wie es ihm in Lausanne ergangen war und wie er GC aus der Distanz wahrgenommen hatte. Vor allem sagte er ihnen auch, was der Unterschied zwischen Challenge und Super League ist und was es braucht, um nach einem Aufstieg den Ligaerhalt zu schaffen. Das war ihm erstaunlicherweise mit Vaduz gleich zweimal und zuletzt mit Lausanne recht sicher gelungen.
Ein Rucksack und die Vision
Und noch eines steckt in Continis Rucksack: das Wissen, wie es ist, mit ausländischen Besitzern zu arbeiten. In Lausanne hatte er es mit den Engländern von Ineos zu tun, die den Club mit schöner Vergangenheit bloss als Aussenstelle für ihre Interessen sehen, die sie mit OGC Nice verfolgen. Ein Mitspracherecht bei Transfers besass er nicht, er musste mit den Spielern arbeiten, die ihm der Sportchef hinstellte. Er kannte das Spiel und beklagte sich nicht. Heute sagt er: «Diese Erfahrung möchte ich nicht missen, einen Spieler extrem schnell integrieren und entwickeln zu müssen.»
GC ist seit dem Frühjahr 2020 in chinesischer Hand und Teil des Fosun-Konglomerats wie Wolverhampton oder die Firma von Mendes. Die Anfänge waren schlecht. Die Personalpolitik war geprägt von der Idee, irgendwelche Spieler, am liebsten Portugiesen, von Wolverhampton auszuleihen. Das wirkte wirr und wurde von der neuen Führung nicht weiter erklärt. Die Kommunikation interessierte sie wenig.
Bis Sky Sun einmal redete, dauerte es ein Jahr. Und als er es dann tat, präsentierte er gleich die grossen Ziele: in fünf Jahren Schweizer und in zehn Jahren europäische Spitze sein zu wollen. Er verstand das als Zeichen dafür, dass die Besitzer ihr Engagement bei GC langfristig verfolgen.
«Wenn ich einen Weg eingeschlagen habe, bleibe ich ihm treu. Wenn ich pragmatisch arbeite, kann ich mich aus einer schwierigen Situation befreien.»
Contini hat sich an den Schatten vor dem Campus-Gebäude zurückgezogen, als er mit diesen Visionen konfrontiert wird. Und er beginnt von vielen Wenns zu reden: «Wenn wir in sechs Monaten die richtigen Schlüsse ziehen, wenn die Zusammenarbeit mit Wolverhampton funktioniert, wenn man merkt, dass die Spieler Verstärkungen sind und nicht das fünfte Rad am Wagen – dann ist es möglich, dass GC wieder dahin kommt, wo es einmal war.»
Eigentlich ist Contini ein sehr ungeduldiger Mensch. Wenn etwas nicht läuft, wie er das möchte, kann er schnell in Rage geraten. In Vaduz hat er lernen können, wie es unter schwierigen Bedingungen zu arbeiten ist, wie er den Spielern Vertrauen vermitteln kann, auch wenn sie «keine Messis oder Ronaldos» sind. Er konnte lernen, mit Niederlagen umzugehen und nur jedes fünfte Spiel zu gewinnen. Früher begann er nach ein, zwei verlorenen Spielen am System zu basteln, das will er jetzt nicht mehr: «Wenn ich einen Weg eingeschlagen habe, bleibe ich ihm treu. Wenn ich pragmatisch weiter arbeite, kann ich mich aus einer schwierigen Situation befreien.»
Noch viele Korrekturen
30 Spieler führt GC aktuell auf seiner Kaderliste, das ist übertrieben viel. Continis Ziel ist es, mit 25 zu arbeiten, inklusive drei Torhütern. «Es wird noch Bewegungen geben», sagt er, «das ist nicht das definitive Kader.» Das legt die Interpretation nahe, dass er bislang nicht zufrieden ist mit dem, was er an Spielern hat. Für Veränderungen bleibt wenigstens lange Zeit. Bis Ende August können Spieler aus dem Ausland verpflichtet werden, bis Mitte September innerhalb der Schweiz. Es bleibt vor allem auch Zeit, Spieler abzugeben.
Acht Neue sind bislang da. Contini hat immer mitreden können, wo es um das Profil eines Spielers geht, was er also im Kopf hat, welche Anforderungen jemand zu erfüllen hat, damit er seine Vorstellungen von Fussball umsetzen kann. Er wollte zum Beispiel einen erfahrenen Innenverteidiger und bekam Georg Margreitter, er wollte einen erfahrenen Spieler fürs zentrale Mittelfeld und bekam Amir Abrashi, den neuen Captain. Bendeguz Bolla sieht er als interessanten Rechtsverteidiger und Hayao Kawabe als mögliche Bereicherung im Mittelfeld, weil der Japaner «von einem kulturell anderen Hintergrund» kommt.
Oder da ist auch Leonardo Campana, 21-jährig, Stürmer und typischer Spieler für das GC-Modell, weil seine Transferrechte bei Wolverhampton liegen. Contini telefonierte mit dem Ecuadorianer während der Südamerika-Meisterschaft, um von ihm zu erfahren, ob GC wirklich das sei, was er wolle, welche Erwartungen er habe. «Was weisst du von uns?», fragte er ihn, «weisst du, dass du dir deinen Platz erarbeiten musst? Bist du bereit?» Aus den Antworten hörte Contini heraus, dass Campana die Nase nicht hoch trägt, sondern weiss, dass er sich erst in der Schweiz bestätigen muss.
In Lausanne bekam Contini noch Spieler vorgesetzt, die sich fragten: Super League? Was ist das denn überhaupt? Wenigstens blieb er von übertriebenen Erwartungen verschont. Da dachten die Ineos-Leute gar nicht erst an einen Meistertitel, weil für sie klar ist, dass sie damit kein Geld verdienen können. Sie wollen das mit Transfers machen. Nur darum geht es ihnen: ums Verdienen. «Wir sind GC, wir haben etwas, das wir entstauben müssen», sagt Contini an diesem Montag im Campus-Schatten. Die letzten Jahre haben am Ego gekratzt - diese unzähligen internen Machtkämpfe, diese Ängste, wirtschaftlich überhaupt überleben zu können, dieser Abstieg mit den hässlichen Bildern von randalierenden «Fans», diese Ungewissheit, wie das mit dem neuen Besitzer wird.
Die Nerven bewahren
Contini hat einen unbefristeten Vertrag, wie das alle Führungskräfte unter dem neuen Regime haben. Sechs Monate soll in seinem Fall die Kündigungsfrist betragen. «Ich arbeite, solange ich Freude habe», sagt er, «oder die Führung an mir.» Was er nun spürt bei GC, sind die Sehnsucht und Lust, wieder Erfolg zu haben. Er spürt die Hoffnung, dass es wieder gut kommt mit diesem Club, der die ewige Rangliste mit 331 Punkten Vorsprung auf YB anführt. Die Hoffnung, die mit der Rückkehr in die Super League und mit einem Schweizer Trainer verbunden ist. So sagt er das selbst.
Drängeln soll deshalb keiner. Sagt Contini auch. Geduld ist gefragt, weil ein grosser Name, wie ihn GC trägt, längst nicht gleichbedeutend ist mit grosser Zukunft. Trotz schöner Aspirationen, innert fünf Jahren an die nationale Spitze zurückzukehren, ist auf dem Campus der Blick für die Realität nicht verstellt. GC ist auch zum Ausbildungsverein geworden. Contini ist bewusst, welchen Spagat er auf Dauer zu bewältigen hat: zwischen dem Wissen, irgendwann wieder Erfolg zu haben, und der Aufgabe, Spieler besser zu machen und für sie einen Marktwert zu schaffen.
Vorerst steht nur etwas im Vordergrund: nicht abzusteigen. «Das ist die konkreteste aller konkretesten Vorgaben», sagt er. «Dass wir einfach nichts mit dem Abstieg zu tun haben. Wir müssen unsere Arbeit machen, möglichst ruhig und besonnen. Es gibt genug andere, welche die Nerven verlieren. Nur uns darf das nicht passieren.»