Wie weiter, GC?
Wieder einmal ist die Lage beim Grasshopper-Club kompliziert. Die chinesischen Besitzer sind mit ihrer Strategie gescheitert. Will er weiterleben, muss er sich neu erfinden.
Fabian Ruch
18.02.2023, 21.45 Uhr
Am Anfang steht die Sehnsucht. Sie verführt. Immer wieder. GC. Zwei Buchstaben. 27 Meistertitel. 137 Jahre Geschichte. Und eine Frage: Hat dieser ruhmreiche Klub eine Zukunft im Profifussball – und falls ja: in welcher Form? Um das herauszufinden, haben wir viele Gespräche geführt. Schnell wird klar: Selbst wenn die letzte Meisterschaft zwanzig Jahre her ist, fasziniert GC immer noch sehr.
So sehr, dass der Präsident Sky Sun noch vor der Rückkehr des Klubs in die Super League im Frühling 2021 in einem Interview mit der NZZ erklärte, GC wolle innerhalb von fünf Jahren Meister werden und in zehn Jahren einer der besten Vereine Europas sein. Nach dem Aufstieg hatte GC keinen Trainer, keinen Sportchef, keinen Medienchef. Und Sky Sun dirigierte den Klub rund drei Jahre, nicht nur wegen der Pandemie, grösstenteils aus China.
Sky Sun versprach Himmel und Sonne. Seine Aussagen produzierten hübsche Schlagzeilen – und verstärkten das Kopfschütteln. Anfang dieser Woche trat Sky Sun zurück. Der 39-Jährige wolle näher bei seinem kleinen Kind sein, liess er sich zitieren. Natürlich wurde der Abgang des Abgesandten des GC-Besitzers Fosun interpretiert als Eingeständnis der chinesischen Inhaber, mit der bisherigen Strategie gescheitert zu sein.
Vor bald drei Jahren übernahm die eigens gegründete Firma Champion Union HK Holdings Limited aus dem Fosun-Konglomerat den Grasshopper-Club für rund 8 Millionen Franken. Als Besitzerin fungiert Jenny Wang, die Ehefrau des Fosun-Gründers Guo Guangchang, eines der reichsten Menschen Chinas.
Wer führt jetzt eigentlich den Klub?
Jetzt hat GC keinen Präsidenten, keinen CEO, keinen Generalsekretär. Sky Sun: weg. Jimmy Berisha: weg. Samuel Haas: weg. Berisha und Haas mussten ihre Posten im letzten Sommer räumen, nachdem sie den Machtkampf gegen Sky Sun verloren hatten. Wer führt eigentlich die Geschäfte im Klub?
András Gurovits hat zum langen Gespräch zu sich nach Hause eingeladen. Der GC-Vizepräsident hat die Rolle des Präsidenten interimistisch übernommen. Er sitzt am Esstisch, auf dem Kopf ein GC-Cap, im Kopf ganz viele Gedanken, wie es mit dem Klub weitergehen müsste. Gurovits gibt zu, dass die Lage ernst sei. Er hat einige Präsidenten und Sportchefs, Trainer und Geschäftsführer kommen und gehen sehen, seit er 2015 Vizepräsident und Verwaltungsrat wurde. Nach dem Abstieg 2019 stand der Klub kurz vor dem finanziellen Aus, Gurovits war einziger Verwaltungsrat.
Doch es ging immer irgendwie weiter. Und diese Sehnsucht nach alter GC-Grösse – sie treibt auch Gurovits an. Jetzt ist neben ihm nur noch Jenny Wang im Verwaltungsrat. Sie hat seit 2020 ein einziges Heimspiel besucht. Es gibt im Projekt keine Transparenz. Es fehlt an: Identifikation, Glaubwürdigkeit, Sinnhaftigkeit. Die Besitzer setzten auf einen Trainer aus Portugal, einen Sportchef aus Nigeria, einen Präsidenten aus China. Sky Sun gab die Richtung vor, in Abstimmung mit dem Partnerklub Wolverhampton Wanderers aus der Premier League sowie der Spielerberateragentur Gestifute, die auch zum Megakonzern Fosun gehören – selten aber mit Entscheidungsträgern des Klubs wie dem neuen Sportchef Bernt Haas.
Ein Kenner der Zustände sagt, es seien über 30 Millionen Franken Verlust, den die chinesischen Besitzer bisher deckten. Und er sagt zu den Gerüchten, Fosun suche einen Käufer für GC: «Die Chinesen verlieren nicht gerne, schon gar nicht das Gesicht.» Rund 50 Millionen Franken, auch das sagte Sky Sun damals in der NZZ, stünden bereit, um während fünf Jahren in den Verein investiert zu werden, eine Absichtserklärung für fünf weitere Jahre sei vertraglich festgelegt. András Gurovits sagt, die GC-Besitzer seien zuletzt nicht bereit gewesen, mit Interessenten über einen Verkauf zu verhandeln.
Nun steckt Fosun angeblich in wirtschaftlicher Schieflage, laut dem Magazin «Forbes» beträgt die Schuldenlast der Gruppe bei allerdings beachtlichen Vermögenswerten knapp 100 Milliarden Dollar. Vermutlich wird es bezüglich des Engagements bei GC auf die Frage hinauslaufen, ob man weitere 20, 25 Millionen Franken in den nächsten zwei Jahren verlieren möchte – oder nicht doch den Klub jetzt mit Verlust verkaufen.
Es besteht Interesse an GC, in der Schweiz und im Ausland. Gerade Investoren aus den USA drängen in den europäischen Fussballmarkt, auch die Young Boys erhielten in den letzten Jahren Offerten. Ein Insider sagt, einer der Kaufkandidaten wäre wie ein «Lottosechser» für GC.
Doch warum sollte jemand Geld in den Grasshopper-Club stecken? Es geht, einerseits, um diese ewige Sehnsucht nach einem erfolgreichen GC. Und andererseits ist es wohl in keinem anderen Land vergleichsweise so einfach, die Champions League zu erreichen – sportlich wie finanziell. Und die Idee, eine Art Farmteam in der Schweiz zu haben, ist nicht so falsch. Man müsste nur auf Menschen setzen, die sich in der Schweiz auskennen.
András Gurovits ist bestrebt, öffentlich keinen Druck auszuüben auf die Besitzer. Am Freitagabend traf er sich erneut länger mit dem Chinesen Bill Pan, der ein paar Wochen in Zürich ist, um die Geschäfte zu untersuchen. Pan steht bei Fosun ein paar Stufen oberhalb von Sky Sun, er arbeitet unter anderem in der Finanzaufsicht und wird immer dann eingesetzt, wenn die Dinge nicht laufen, wie sie sollten.
Auch Gurovits ist bewusst, dass sich GC endlich anders aufstellen sollte. Mehr Swissness. Eigentlich muss sich der Klub komplett neu erfinden. Es gab in den letzten Jahren Bemühungen, Personen an Bord zu holen mit einem Bezug zur Schweiz, zu Zürich, zu GC. Es sind immer die gleichen Namen. Mit dem Trainer Marcel Koller wurde gesprochen, doch das Timing habe damals nicht gepasst, sagt Koller, der mittlerweile den ägyptischen Topklub Al Ahly trainiert. Auch der frühere Sportchef Fredy Bickel, der Bochum-Geschäftsführer Ilja Kaenzig, der einstige Erfolgstrainer Christian Gross oder die GC-Legenden Mats Gren und Ricardo Cabanas werden genannt. Als Präsident, Verwaltungsrat, Sportchef, Trainer. Als Botschafter vor allem für eine angemessene Ausrichtung. Die entscheidende Frage ist: Was planen die GC-Besitzer? Es gibt Anzeichen, die darauf hindeuten, dass sie das Interesse am Klub verloren haben. So wurde das Team in der Winterpause nicht verstärkt, obwohl in der Super League hinter dem souveränen Leader YB alles möglich ist. Auch Rang zwei. Selbst für den Grasshopper-Club. Dafür würde es womöglich nur einen stabilen Abwehrchef oder einen treffsicheren Stürmer brauchen. GC aber holte: einen japanischen Rechtsverteidiger.
Dieser Transfer wiederum befeuerte Gerüchte, wonach Sky Sun mit einer asiatischen Spielerberaterfirma Deals vereinbarte und japanische sowie südkoreanische Fussballer überteuert verpflichtete, viel Geld sei abgeflossen. Und im Sommer steht der nächste Grossumbau des Kaders an, zahlreiche Verträge laufen aus.
Klub ohne Seele
Ein weiterer Brennpunkt, eine weitere ewige Sehnsucht: das Fussballstadion in Zürich. Im September 2007 fand das letzte Spiel von GC im legendären Hardturm statt, seit über 15 Jahren ist der Klub ohne Heimat, eine ganze Generation hat den Grasshopper-Club ohne eigene Arena erlebt. Zuletzt kamen gegen den FC Basel im Cup und in der Meisterschaft keine 6000 Zuschauer in den Letzigrund – trotz zahlreichen Gästefans. «Ein Stadion ist immer auch die Seele eines Fussballklubs», sagt Gurovits. Erneut gibt es Einsprachen gegen den Neubau. Gurovits sagt, er habe den Eindruck, man wolle GC kaputtmachen. Er kann sich in Rage reden wie der FCZ-Präsident Ancillo Canepa, wenn es darum geht, wie der politisch längst durch mehrere Abstimmungen legitimierte Stadionbau juristisch verzögert wird.
Heute Sonntag treffen sich die Zürcher Klubs zum Derby. GC tritt in dieser Saison wenig konstant auf, ist nach zwanzig Runden von einem Europacup-Platz gleich weit entfernt wie vom letzten Platz. Der Trainer Giorgio Contini ist längst nicht mehr unumstritten und selbst genervt über die Entwicklung und die Arbeitsbedingungen.
Es bleibt kompliziert. Aber auch am Ende steht die Sehnsucht. Selbst wenn sie verblasst.
